Von der Theorie zur Anschauung:
Die Elgin Marbles und der Hohe Stil

Winckelmanns stilgeschichtliches „Lehrgebäude“ war ein Konstrukt, das vor allem auf antiken Kunsttheorien basierte. Es anhand erhaltener Kunstwerke zu veranschaulichen, erwies sich als schwierig. Skulpturen des Älteren und des Hohen Stils ließen sich in Rom kaum ausfindig machen. Denn die meisten dort vorhandenen Denkmäler stammten aus der römischen Kaiserzeit.

Erst ab 1800 gelangten in größerem Umfang griechische Originale in die westeuropäischen Sammlungen. Von der Athener Akropolis brachte der schottische Lord Elgin die Parthenon-Skulpturen aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. nach London. Mit Winckelmanns Bild vom Hohen Stil ließen sie sich nur schwer in Einklang bringen. Sie zeigten nicht die „gewisse Härte“ und „hohe Einfalt“, die er diesem Stil zugeschrieben hatte, sondern extrem lebendige und bewegte Formen mit vielen naturnahen Details.

Auch wenn sich die Verfechter der reinen Lehre Winckelmanns heftig sträubten, wurde der hohe Rang der Elgin Marbles bald allgemein anerkannt. Als neuer Gipfelpunkt der antiken Kunstentwicklung verdrängten diese nun den Apoll von Belvedere, der bis dahin als Maßstab absoluter Schönheit gegolten hatte.

Archibald Archer, The Temporary Elgin Room (1819), Öl auf Leinwand, London, British Museum. Das Bild zeigt das Aufsichtsgremium des Britischen Museums mit den kurz zuvor erworbenen Elgin Marbles in provisorischer Aufstellung.
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