Stil und Mentalität:
Die Kunst der Etrusker
Während Winckelmann der ägyptischen Kunst kein eigenes Entwicklungspotential zubilligte, beurteilte er die etruskische Kultur positiver. Klima, Landschaft und politische Struktur seien dort ähnlich gewesen wie bei den Griechen. Zunächst sei die Kunstentwicklung auch ähnlich verlaufen, habe sogar noch früher eingesetzt als dort.
Ein erster, an ägyptische und frühe griechische Formen erinnernder Stil sei im frühen 5. Jahrhundert durch eine neue Darstellungsweise abgelöst worden. Diese habe jedoch nicht wie bei den Griechen zum Idealschönen geführt, sondern – bedingt durch die „melancholische Gemütsart“ der Etrusker – zu einer oft übertrieben heftigen Ausdrucksform.
In einer dritten Stilphase schließlich habe die etruskische Kunst ganz unter dem Einfluss der griechischen gestanden, bevor durch die römische Eroberung Etruriens der endgültige Niedergang eingesetzt habe.
Mit der Frage nach der Eigenart der etruskischen Kunst sprach Winckelmann eine Thematik an, die in der archäologischen Forschung bis heute kontrovers diskutiert wird.
Tydeus-Gemme, etruskischer Karneol (um 470/60 v. Chr.), Berlin, Antikensammlung.
Die heftige Bewegung ist für Winckelmann Kennzeichen seines zweiten etruskischen Stils.
Sog. Leukothea-Relief, ostgriechisches Grabrelief, Marmor (um 470 v. Chr.), Rom, Villa Albani.
Aus: Winckelmann, Monumenti antichi inediti (1767) Abb. 56.
Für Winckelmann war das Relief ein Hauptzeugnis des älteren etruskischen Stils. Als dessen Merkmale nennt er gerade, eckige Umrisse und steife, parallele Gewandfalten.