#Von der Theorie zur Anschauung: Die Elgin Marbles und der Hohe Stil

Report from the Select Committee of the House of Commons on the Earl of Elgin’s Collection of Sculptured Marbles

London 1816

Leihgabe der SUB Göttingen, Sign. 8 ARCH III, 475

Nach Lord Elgins wiederholtem Angebot, die von ihm nach London gebrachten Parthenonskulpturen zu verkaufen, führte eine Kommission des Britischen Unterhauses 1816 Befragungen einflussreicher Künstler bzw. Kunstexperten und Griechenlandreisenden sowie von Elgin selbst durch. Es sollte überprüft werden, wie er in den Besitz der Antiken gekommen war sowie welchen künstlerischen und materiellen Wert sie hatten. Die Befragten wurden aufgefordert, Schönheit und Qualität der Elgin Marbles vergleichend zum Apoll vom Belvedere, dem Laokoon sowie dem Torso zu beurteilen. Den Bezugsrahmen bildeten also die von Winckelmann gepriesenen  Antiken.

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Liste der aus London erbetenen Abgüsse

Liste der aus London erbetenen Abgüsse

Handschrift K. O. Müller, April 1829

Universitätsarchiv Göttingen, Kuratoriumsakten, 4.V.d.6.21, Bl. 3

Karl Otfried Müller (1797-1840), seit 1819 Professor in Göttingen, interessierte sich als einer der ersten Gelehrten außerhalb Englands für die nach London gelangten griechischen Originale. Nachdem er die inzwischen im British Museum ausgestellten Antiken in London selbst studiert hatte, bemühte er sich, Gipsabgüsse der Elgin Marbles zur Anwendung in der Lehre für die Göttinger Universität zu erhalten. Die in Müllers Liste aufgeführten Objekte wurden fast alle bewilligt. Als erste deutsche Universität konnte die Göttinger Alma Mater 1830 eine große Zahl von Abgüssen der Elgin Marbles in Empfang nehmen.

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Westgiebel des Parthenons

Westgiebel des Parthenons

Karl Otfried Müller

Eigenhändige Rekonstruktionszeichnung

Archäologisches Institut, Archiv, Nachlass K.O. Müller

Karl Otfried Müllers Beschäftigung mit den Elgin Marbles zeigt, wie im 19. Jahrhundert die von Winckelmann geprägte Autopsie zum Bestandteil universitärer Forschung wurde: Müller hatte nicht nur in London die Originale gesehen und Abgüsse nach Göttingen geholt, er reiste schließlich auch selbst nach Griechenland. Ergebnis seiner wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Parthenonskulpturen waren ein Vorschlag zur Rekonstruktion des Westgiebels sowie die erste deutschsprachige Publikation der Elgin Marbles.

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Miniaturnachbildung des Parthenonfrieses

Miniaturnachbildung des Parthenonfrieses

John Henning

Platten des Ostfrieses

Elgin gestattete dem Bildhauer John Henning (1771-1851) verkleinerte Nachbildungen des Frieses anzufertigen, die schnell Verbreitung fanden. Weil andere Künstler wiederum Hennings Abgüsse nachahmten, gelangten Repliken in hoher Zahl in Umlauf. Die Göttinger Nachbildungen könnten aufgrund ihrer sorgfältigen Ausarbeitung zu Hennings Original-Edition  gehören.

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Von der Theorie zur Anschauung: Die Elgin Marbles und der Hohe Stil

Winckelmanns stilgeschichtliches „Lehrgebäude“ war ein Konstrukt, das vor allem auf antiken Kunsttheorien basierte. Es anhand erhaltener Kunstwerke zu veranschaulichen, erwies sich als schwierig. Skulpturen des Älteren und des Hohen Stils ließen sich in Rom kaum ausfindig machen. Denn die meisten dort vorhandenen Denkmäler stammten aus der römischen Kaiserzeit.

Erst ab 1800 gelangten in größerem Umfang griechische Originale in die westeuropäischen Sammlungen. Von der Athener Akropolis brachte der schottische Lord Elgin die Parthenon-Skulpturen aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. nach London. Mit Winckelmanns Bild vom Hohen Stil ließen sie sich nur schwer in Einklang bringen. Sie zeigten nicht die „gewisse Härte“ und „hohe Einfalt“, die er diesem Stil zugeschrieben hatte, sondern extrem lebendige und bewegte Formen mit vielen naturnahen Details.

Auch wenn sich die Verfechter der reinen Lehre Winckelmanns heftig sträubten, wurde der hohe Rang der Elgin Marbles bald allgemein anerkannt. Als neuer Gipfelpunkt der antiken Kunstentwicklung verdrängten diese nun den Apoll von Belvedere, der bis dahin als Maßstab absoluter Schönheit gegolten hatte.

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Ilissos

Ilissos

Original aus Marmor; London, Britisches Museum
440– 430 v. Chr.
linke Zwickelfigur im Westgiebel des Parthenon
Abguss von Richard Westmacott, 1829


Beeinflusst durch den Kunstkenner und Antikensammler Richard Payne Knight, fanden die Elgin Marbles in London zunächst wenig positive Resonanz. Ihr nicht restaurierter Zustand widersprach den Sehgewohnheiten der Zeitgenossen. Besonders irritierend wirkte die Figur des gelagerten Flussgottes Ilissos. Die sehnig-muskulösen Körperformen, die kompliziert gebrochene und gedrehte Bewegung des Rumpfes und das unruhige Faltenspiel des Mantels über dem linken Arm geben der Figur etwas Nervöses, Aufgewühltes und Momenthaftes. Diese Züge ließen sich nur schwer mit Winckelmanns Bild des Hohen Stils vereinbaren. Dennoch hielt auch Payne Knight den Ilissos für „the finest figure in the collection“ – freilich geringer im Rang als der ebenfalls fragmentarisch erhaltenen Torso von Belvedere.

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Parthenonfries

Parthenonfries

Original aus Marmor; London, Britisches Museum, Athen,
Akropolismuseum, Paris, Louvre
Um 440 v. Chr.
Ursprünglich an der Außenseite der Cella des Parthenon angebracht
Abgüsse von Richard Westmacott, 1829, ergänzt um spätere
Erwerbungen

Im Gegensatz zu Giebeln und Metopen wurde der Fries selbst von Kritikern wie Payne Knight wegen seiner detailreichen Ausarbeitung gewürdigt. Die Qualitätsunterschiede zu den Metopen erklärte man mit der Beteiligung verschiedener Handwerker und nicht durch unterschiedliche Datierungen. Derartige Vergleiche wurden durch die zusammenhängende Präsentation der Elgin Marbles an einem Ort erleichtert. Entsprechend bemüht waren die Unterstützer Elgins, den Ankauf der gesamten Sammlung durch das Parlament zu erreichen.

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Parthenon-Metopen

Parthenon-Metopen

Original aus Marmor; London, Britisches Museum und Athen,
Akropolismuseum
Um 440 v. Chr.
Von der Süd- und der Nordseite des Parthenon
Abgüsse von Richard Westmacott, 1829, und D. Brucciani, 1913

In der Anhörung vor dem Britischen Parlament bezeichnete Elgins Hauptgegner Payne Knight die Metopenreliefs wie die Giebelfiguren des Parthenon lediglich als zweitklassig. Geleitet von fehlerhaften Berichten früherer Griechenlandreisender erklärte er viele davon für Arbeiten aus hadrianischer Zeit (um 130 n. Chr.). Payne Knight dürfte dabei auch im Interesse seiner eigenen Antikensammlung gehandelt haben: Der von Winckelmann geprägte Kanon antiker Meisterwerke, von denen einige auch englische Sammlungen zierten, sollte weiterhin den Maßstab vollendeter griechischer Schönheit bilden.

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Torso des Poseidon

Torso des Poseidon

Original aus Marmor; London, Britisches Museum und Athen,
Akropolismuseum (Brustfragment)
440– 430 v. Chr.
Aus dem Westgiebel des Parthenon
Abguss von Richard Westmacott, 1829, ergänzt um den Abguss des
erst nach 1835 gefundenen Brustfragments

Nach Meinung der Kritiker erlaubte der beschädigte Zustand der Elgin Marbles kaum Vergleiche zu anderer Skulptur. Als Bestandteile von Architektur seien sie ohnehin nur auf Fernwirkung ausgelegt. Am Torso des Poseidon stellte man jedoch fest, dass die antiken Künstler sogar Details wie Blutgefäße ausgearbeitet hatten. Das Urteil berühmter Fachleute – darunter der Archäologe
Ennio Quirino Visconti und der Bildhauer Antonio Canova – überzeugte das Britische Parlament schließlich vom herausragenden Rang der Skulpturen. Gerade in der Verbindung von Monumentalität und großer Natürlichkeit sah man nun das besondere Kennzeichen der Kunst des Phidias, des Schöpfers der Parthenonskulpturen. Torso des Poseidon

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Gelagerter Dionysos, sog. Theseus

Gelagerter Dionysos, sog. Theseus

Original aus Marmor; London, Britisches Museum
440– 430 v. Chr.
Vom Ostgiebel des Parthenon auf der Athener Akropolis
Abguss von Richard Westmacott, 1829

Besonders für den sogenannten Theseus vom Ostgiebel wurde hinterfragt, wie er sich zu den von Winckelmann beschriebenen Idealen verhielt. Der Künstler John Flaxman würdigte zwar die Naturnähe der Darstellung, bevorzugte aber den Apoll vom Belvedere als „ideale Schönheit vor jeder männlichen Statue, die ich kenne“. Eben wegen der idealisierten Züge des Apoll schätzte hingegen der Bildhauer Richard Westmacott die Natürlichkeit des Theseus mehr. Aus Winckelmanns „Lehrgebäude“ war ein dynamisches Modell geworden, in dem die „Schönheit“ von Antiken unabhängig von ihrer zeitlichen Einordnung diskutiert werden konnte.

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